Es gibt zwei Worte, die einem die Lebensfreude gründlich vermiesen können. Was auch immer auf sie folgt, ist selten etwas Angenehmes. Sie sind wie Unkraut – kaum hat man es ausgerissen, wächst es schon wieder nach. Die Worte lauten: “Ich sollte”.

Vor Kurzem habe ich einen Haufen Setzlinge im Garten gepflanzt. Salat, Petersilie, Porree, und anderes Gemüse. Die Freude des Gärtners besteht darin, den zarten Pflänzchen zuzuschauen, wie sie Wurzeln schlagen, wachsen und kräftiger werden. Was diese Idylle gründlich stört, ist das Unkraut. Es wächst schneller, es gedeiht kräftiger, es ist in der Lage, die zarten Setzlinge zu ersticken. Man mag es manchmal nicht glauben, wie schnell es in der Lage ist, wieder nachzuwachsen und sich zu verbreiten.

So ist das auch mit diesen Sätzen, die mit “ich sollte” anfangen. Manchmal habe ich das Gefühl, die hat man extra für uns Frauen erfunden. Wo auch immer die Gesellschaft versagt – bei der Kinderbetreuung, bei der Altenpflege, familienfreundlichen Arbeitszeiten – dort nehme man Frauen her, bürde ihnen diese Last auf und nenne es “Privatleben”. Wir sollten so vieles tun, sollten es möglichst gut tun und sollten dabei gut aussehen.

Die letzten Wochen waren etwas fordernd. Wenn man zwei Kinder hat, wird das Leben ohnehin in dem Moment unberechenbar, in dem sie auf die Welt kommen. Als Ein-Personen-Unternehmen ist man sozusagen eine ganze Firma in einem. Und dann ist hier noch meine Beziehung, der Haushalt, und Freundschaften, die man pflegen möchte. Ich bin eine der unzähligen Frauen, die versuchen, an allen Fronten ihr Bestes zu geben. Nicht ungewöhnlich. Nur furchtbar anstrengend.

Neulich ging ich mit meinem Mann spazieren. Wir sind mit einem Wäldchen nahe unseres Hauses gesegnet, man spaziert hinein und wenn man wieder herauskommt, wiegt man gefühlte zwei Kilo seelisches Müll weniger. Ich fühlte, wie ich mit jedem Schritt leichter wurde, mich hinein entspannte in dieses einfache kleine große Glück – Vogelgezwitscher, frische Luft und zwei Menschen, die Hand in Hand ihr stilles Glück genießen. Bis dieses seelische Unkraut die Hirn-Blut-Schranke durchstoß und in meinem Kopf sich die Worte bildeten “Ich sollte noch die Emails beantworten.”

Glück und innerer Frieden sind Fertigkeiten, die man üben kann (und sollte). Da ich schon seit Jahren am Üben bin, wusste ich sofort, was hier geschieht. Ich schnappte den Satz und zog ihn aus meinem gerade so angenehm matschig gewordenen Hirn heraus. Weg mit dem Unkraut! Ich ging zehn Schritte im Frieden, da schoss der nächste Satz hervor: “Ich sollte noch die Essensreste in den Kühlschrank räumen.” Okay, dieser Sache wollte ich eine gewisse Wichtigkeit nicht absprechen. Essen lässt man nicht schlecht werden. Doch in diesem Moment müssen all die anderen “Ich sollte”-Sätze das Gefühl bekommen haben, dass man bei mir gut landen kann, denn sie schossen wie Schwammerln nach dem Regen heraus.

Ich sollte das Geld für die Schulreise meiner Tochter überweisen. Ich sollte die aufgehängte Wäsche von der Terrasse reinholen. Ich sollte ein Konzept für die Neuauflage meines Buches machen, der Verleger wartet auf meine Antwort. Ich sollte einen Zeitplan für dieselbige machen. Ich sollte endlich den Zahnarzttermin für meinen Sohn ausmachen. Ich sollte mir endlich die neuen Datenschutzbestimmungen für Unternehmer anschauen. Ich sollte, ich sollte, ich sollte!

Mein Kopf war im Nu voller Unkraut. Dahin war das zarte Pflänzchen der Entspannung, der Präsenz, des genussvollen Augenblicks.

Ist euch schon mal aufgefallen, dass die Sache nie zu Ende ist? Egal, wie viel man erledigt, es wartet schon das nächste “Ich sollte” vor der Tür. Manchmal hat man sogar das Gefühl, dass es schneller kommt, je schneller man mit dem Erledigen ist. Wie der Drache im Märchen. Schlägt man ihm einen Kopf ab, wachsen zwei nach. Das ist verrückt.

Das ist verrückt, denn von all diesen Dingen, die man tun sollte, ist wenig Bedeutsames dabei. So viele zauberhafte intime Momente zwischen mir und meinen Liebsten sind für alle Ewigkeit in mir, ihre Intensität dehnt sich über alle Zeit hinaus. Wenn ich schreibe, bin ich im Fluss, löse mich auf, fühle mich richtig. In guten Gesprächen mit meiner Schwester fühlt sich die Welt sinnvoll an. Wenn ich mit Freunden lache, wirkt das Leben leicht. Ich wünsche mir ein Leben voller solcher Momente. Ich will mich nicht von einem “Ich sollte” zum nächsten “Ich sollte” arbeiten. Ich will nicht das Vogelgezwitscher und die Nähe meines Mannes versäumen, weil mich innerlich all die “Ich sollte”s zerfressen haben.

Ob die Welt wohl zusammenbricht, wenn ich eines Tages das “Sollte” verweigere? Was ist, wenn das Unkraut nicht von alleine sprießt, sondern meine Art zu denken und zu leben dafür verantwortlich ist?

Ich habe als Kind eine Weile in Afrika gelebt. Auf dem Land. Ohne Uhren. Mein Vater war Entwicklungshelfer und versuchte mit vielen anderen, den Einheimischen beizubringen, wie man in der von der ehemaligen Kolonialmacht gebauten Fabrik arbeitet. Keiner der Einheimischen hatte Stress. Diese künstliche Unruhe, die wir mitgebracht haben, war etwas, was sie nicht verstanden. Sie lächelten und ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie kamen zu spät zur Arbeit. Schliefen während der Arbeit ein. Und die Welt ging nicht unter.

Unser Leben ist groß und reich und kompliziert. Doch das Wesentliche darin ist so unspektakulär. Es ist der jetzige Augenblick, in den man sich vom Fleck weg hineinfallen lassen könnte, wenn man es denn möchte. Es ist der Atem des geliebten Menschen. Ein Lächeln. Das ausdauernde Schlagen des eigenen Herzens. Ich bin da. Und “sollte” in diesem Augenblick nirgendwo anders sein als genau hier, wo ich bin.

Ich sollte so vieles. Ich sollte mich für neue Trends in der Blogszene interessieren. Ich sollte für Klienten, die Kummer haben, am besten sofort zur Stelle sein. Ich sollte den verspiegelten Kasten in der Garderobe endlich putzen. Er könnte mittlerweile gute Dienste als Fingerabdruckdatei leisten. Ich sollte wieder mal zum Friseur.

Aber gelegentlich will ich mich für das Leben entscheiden. Ich entscheide mich für die Demut vor der Realität, die mir ganz einfach nur 24 Stunden täglich zur Verfügung stellt. Ich entscheide mich für das Mitgefühl mit mir selbst, die ich nur menschliche Kräfte habe und keine unerschöpflichen Super-Zauberkräfte. Ich möchte dem Augenblick achtsam begegnen. Was nicht geht, geht nicht. Ununterbrochen befeuert uns die Gesellschaft, unsere Umgebung, die Medien mit Bildern und Aufforderungen, wie wir sein könnten oder gar sein sollten. Dem standzuhalten und sich das eigene “nur” Menschsein verzeihen, ist nicht immer einfach. Aber wer immer zu allen nett und zuvorkommend ist, ist unfreundlich und streng zu der wichtigsten Person in seinem Leben – zu sich selbst.

Das Leben ist ein reichhaltiges Buffet und wir können uns nicht alles reinstopfen. Wir können nicht alles sein, was wir so gerne wären – privat und beruflich erfolgreich, finanziell gut versorgt, fit und gut aussehend, und natürlich allseits beliebt und zu jedem freundlich. Am Ende so einer Reise liegt nur das Tal der Ausgebrannten. Denn jedes Ja ist ein Nein zu etwas anderem. Der gestrige Waldspaziergang mit meinem Mann war einfach zauberhaft. Sich verbunden zu fühlen mit sich selbst, mit dem anderen und mit der Welt ist eine Energiequalität, die das Leben lebenswert macht. Ja, ich hätte eigentlich anderes zu tun gehabt. Wann nicht? Es gibt immer etwas zu tun. Aber das Dringende darf das Wesentliche nicht ersticken. Ich wünsche mir, dass mein Leben ein bunter blühender gedeihender Garten ist. Ich will, dass mein Herz sich freut, wenn ich mein Leben ansehe. Ich möchte es gelebt und nicht darin funktioniert haben.

Es ist heutzutage nicht einfach, als Frau entspannt zu sein. Die Anforderungen sind grenzenlos. An irgendeiner Linie versagt man fast immer. Die eine hat keine Kinder, die andere keine Partnerschaft, eine andere weiß mit vierzig immer noch nicht, wohin es beruflich gehen soll und wieder eine andere bekommt ihr Gewicht nicht unter Kontrolle. Egal, wie viel wir tun, es scheint nie genug zu sein. Während wir uns in der eigenen Haut unwohl fühlen und für die Dreistigkeit der Welt uns selbst mit Lieblosigkeit bestrafen, geschieht unser Leben.

Um die Ecke wartet der Wald. Seine Bäume stehen einfach da. Die am Rand schaffen es zu mehr Ansehnlichkeit als die in der Mitte. Doch es scheint ihnen egal zu sein. Die aus der Mitte drängen nicht zum Rand und rufen “Ich will auch etwas von der Sonne erwischen und endlich gesehen werden!” Nadelbäume stehen geduldig neben Laubbäumen, kleiner, größer, dicker, und manche schon ziemlich mitgenommen. Sie atmen ein und atmen aus und lassen in aller Ruhe die Lebenskraft in ihnen pulsieren. Sie denken nicht über morgen nach und ärgern sich nicht über gestern. Mit ihrer ganzen Präsenz leben sie den Augenblick. Sie sind ganz selbstverständlich das, was sie sind, denn sie können nichts anderes sein. Sie brauchen kein Gehirn dazu, um die Kunst des Lebens zu begreifen. Vielleicht ist es ja genau unser Gehirn, das uns daran hindert, richtig gut zu leben. Im Frieden zu sein mit uns selbst und dem jetzigen Augenblick.

Als gute Bloggerin sollte ich hier mehr Bilder verwenden. Ich sollte Zwischenüberschriften einbauen. Ich sollte mein SEO verbessern. Ich sollte schon wieder so viel. Doch heute schreibe ich einfach von der Seele weg. Heute wünsche ich mir einfach nur eine Berührung mit dir, liebe Leserin. Ein Augenzwinkern von Frau zu Frau. Wo alles perfekt ist, ist kein Raum für Lebendigkeit.

In diesem Sinne wünsche ich dir ein paar gedankenlose Augenblicke des Glücks. Der Präsenz. Glaube nicht alles, was du denkst. Denk nicht so viel, dass du vergisst, dich wohl zu fühlen. Dich und das Pulsieren deiner Lebendigkeit zu spüren. Sie ist das große Geschenk des Augenblicks. Und der Augenblick ist schließlich alles, was du im Moment hast.

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