Frauen sind geborene Statistinnen im Lebensfilm der anderen. Jahrhundertelang waren wir nur der Beiwagen des Mannes, der Kinder, des Chefs. Ein gut funktionierender Haushalts- und Pflege-Roboter mit einem langlebigen Akku, den man nicht aufzuladen brauchte. 

Heute hätten wir die Chance auf die Hauptrolle, und was machen wir? Wir geben uns mit der Nebenrolle zufrieden. Von der Statistin zur Nebenrolle ist schließlich auch ein Aufstieg. Aber nur weil wir immer beschäftigt sind, bedeutet noch nicht, dass wir etwas Wesentliches machen. Vor dem Wesentlichen schrecken immer noch viel zu viele Frauen zurück.

Nie gut genug für den nächsten Schritt

Wir haben immer das Gefühl, dass wir für die Hauptrolle noch nicht gut genug sind. Also machen wir uns auf den Weg der  Selbsterkenntnis und Selbstentfaltung, mit der Hoffnung, uns selbst zu begegnen. Unseren Weg zu erkennen. Unsere Kraft zu finden. Und wenn es uns gelingt, schrecken wir zurück. Wenn die Tür an unserem Käfig aufgeht, schlagen wir sie selbst zu gern wieder zu. „Ich kann nicht, weil…“ ist einer der Sätze, den ich in meiner Praxis am häufigsten höre.

Immer noch haben wir Angst vor unserer eigenen Kraft.

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Wir wählen reaktionäre Politiker mit einer rückständigen Frauenpolitik, damit dieses „Ich kann nicht, weil…“ endlich eine reale Grundlage bekommt. Damit wir dahinter die unangenehme Wahrheit verstecken können, dass uns der Mut für die Eigenverantwortung fehlt.

Haben wir Frauen kein Talent zum Freisein?

Freiheit ist innere Einstellung

Wird der Mensch automatisch frei, nur weil ihm Freiheit gewährt wird? Leider nicht. Freiheit ist eine Fähigkeit, ein Talent, etwas, was in uns drinnen passiert und nur am Rande mit den äußeren Umständen zu tun hat. Theoretisch sind wir frei, unsere eigene Geschichte zu schreiben, einen eigenen Weg zu beschreiten, unserem Urteilsvermögen zu vertrauen, eigene Spuren zu hinterlassen. Die Hauptrolle in unserem Leben zu spielen. Das reizt uns, macht Spaß, weckt Phantasie. Und gleichzeitig macht es Angst und paralysiert.

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Wir begegnen in uns nicht immer dem, was wir erwartet hätten. Wir erwarten, dass unsere innere Stimme uns einflüstern wird, dass wir reisen, malen, den Job wechseln oder einen Töpferkurs machen sollen. Stattdessen sagt sie Dinge wie “mein Freundeskreis langweilt mich zu Tode” oder “ich bin es leid, für das Essen der Familie verantwortlich zu sein”. Sie sagt Dinge wie “ich möchte nicht so behandelt werden” oder einfach nur “ich will mehr!”.

Der Chip mit dem vorsintflutlichen Programm

Und dann meldet sich dieser Chip, der irgendwo in unserem Inneren sein muss. Den wir schon vor der Geburt eingepflanzt bekommen und der seit unserem ersten Atemzug regelmäßig upgedated wird – durch sexistische Werbung, lächerliche Frauenrollen in Film und Fernsehen, katastrophale Frauenvorbilder in unserer Umgebung, Ignoranz der Politik. Auf diesem Chip ist die Geschichte der Jahrhunderte dauernden Frauenunterdrückung abgespeichert, die Gesichte unserer weiblichen Unfreiheit.

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Gelingt es der einen oder anderen Frau, ihre Angst zu überwinden, taucht unweigerlich die Frage auf: „Darf ich das?“ Ständig haben Frauen das Gefühl, jemand anderem etwas wegzunehmen, wenn sie ihren Raum für sich beanspruchen. Irgendwo tief in uns drinnen fühlen wir uns scheinbar am wohlsten, wenn wir nur ein Teil von etwas sind. Irgendwo in uns geht der Alarm los, sobald wir eine Solonummer wagen wollen.

Durch meine Arbeit kenne ich viele Frauen – und leider viel zu viele, die sich selbst in einem Käfig halten, den es in der Realität längst nicht mehr gibt. Der Zaun unseres Gefängnisses wurde längst abgebaut, doch wir schreiten immer noch die gleichen abgetretenen Pfade ab und wagen den Schritt in die Freiheit nicht. Nein, wir haben es in dieser Gesellschaft nicht unbedingt leicht. Aber gerade deswegen brauchen wir uns nicht auch noch selbst Steine in den Weg zu legen.

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Der Stoff, aus dem Frauenängste gemacht sind

Woraus bestehen denn unsere Frauenängste? Die “guten” Gründe, sich selbst gefangen zu halten und keine eigene Geschichte zu wagen? (Alle Namen natürlich geändert und Frauen um Erlaubnis gefragt)

Andrea hat ein Händchen für Kinder und würde sehr gern eine Ausbildung zur Yogalehrerin für Kinder machen. Sie hat sich das ausgemalt, viel darüber gesprochen und sich dann entschieden, doch ins Büro zurückzukehren. Warum? “Mein Mann fängt mit Yoga leider gar nichts an.”

Verena ist eingesperrt in den Routinen ihrer Ehe, Arbeit, ihres Freundeskreises. Ihr Leben ist voller blutleerer Beziehungen und sie sieht sich selbst beim Verkümmern zu. Sie will das alles nicht mehr, wünscht sich Veränderung, malt sie sich aus und… setzt keinen einzigen Schritt um. Verena hat Angst, dass man sie für verrückt halten könnte. “Die würden das nicht verstehen”.

1000 gute Gründe, nicht ich zu sein

Lisa ist Mitte 30 und wünscht sich eine eigene Familie. Ihr Partner will sich nicht festlegen und besteht auf einer offenen Beziehung. Lisa kann einer offenen Beziehung überhaupt nichts abgewinnen, macht aber mit. Sie stellt nicht etwa ihren Partner oder diese Beziehung in Frage, sondern sich selbst. “Was stimmt nicht mit mir, dass ich nicht flexibler bin?”

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Anna ist Anfang 20. Sie mag sich selbst nicht, weil sie “so ein kleinkariertes spießiges Wesen” hat, wie sie es bezeichnet. Anna hat nämlich keine beruflichen Ambitionen. Sie wünscht sich eine eigene Großfamilie. Richtig groß. “Ich weiß, ich bin dafür geboren.” Aber das ist so gestrig. „So etwas kann frau heutzutage doch nicht laut aussprechen“, meint sie, geht studieren und spielt allen die angehende Juristin vor.

Gertrud findet alles gut, was ihr Mann gut findet. Natürlich nicht wirklich. In Wirklichkeit leidet sie darunter, dass sie dadurch immer mehr den Kontakt zu sich selbst verliert. Sich komplett verliert. “Aber wenn ich “schwierig” werde, flirtet er mit anderen Frauen”.

Die anderen wissen es womöglich besser?

Iris möchte sich gern selbständig machen. Sie bekommt oft den Satz zu hören: “Willst du das wirklich? Es gibt schon so viele.” Sie kann nicht aufhören daran zu denken, was die anderen sagen werden, wenn sie scheitert. Seit geschlagenen drei Jahren steckt sie nun in dieser Unentschlossenheit fest.

Keine dieser Frauen schreibt ihre eigene Geschichte. Für jede von ihnen zählen die Stimmen da draußen mehr als ihre eigene. Sie alle schränken sich ein, weil es ja “nur” um sie geht. Das ist es nicht wert, Staub aufzuwirbeln. Sie verbiegen sich für eine falsche Harmonie.

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Immer schön zumutbar bleiben

Im Leben vieler Frauen werde ich die einzige bleiben, die einen Blick auf ihre Authentizität, auf das, wer sie wirklich sind, werfen durfte.

Frauen glauben oft, es sei irgendwie nobel, sich zurückzunehmen. In Wirklichkeit entziehen sie der Welt ihre bereichernde Energie, mit der die Natur sie ausgestattet hat. Sie belügen die Welt darüber, wer sie sind. Sie ignorieren ihren inneren Kompass aufs Gröbste. Sie bestehlen die Welt um einen lebendigen Menschen voller Lebensfreude und Saft.

Wir alle tun es zumindest hin und wieder. Wir alle schielen auf die Umgebung und bemühen uns, „zumutbar“ zu bleiben. Und so schreiten wir weiterhin die abgetretenen Pfade des Langweiligen aber Akzeptierten ab. Nett, zuvorkommend, zumutbar. Tag für Tag gehen so der Welt Tonnen an Originalität, Aufregung, Innovation und Buntheit verloren. Tag für Tag sehen uns unsere Töchter, Enkeltöchter, Nichten, Nachbarsmädchen, Schülerinnen zu und lernen, was ein Frauenleben ist.

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Jede Frau sollte eine eigene Geschichte haben. Wir sollten nicht verwoben sein in einem großen grauen Teppich verhinderter Frauenträume. Wir sollten nicht der Grund sein, dass unsere Töchter sich nicht trauen, ihre Geschichte zu schreiben. Ich möchte weder für meine Tochter noch für meinen Sohn ein Vorbild für Selbstaufgabe und Aufopferung sein. Weder soll meine Tochter sich jemals denken, dass eine Frau für Liebe und Anerkennung ihren eigenen Weg aufgeben muss, noch soll mein Sohn so etwas jemals von einer Frau erwarten.

Wir sind die Hebammen unserer Träume

Ich kenne so viele großartige Frauen! Leider lassen sie die Welt an ihrer Großartigkeit nicht teilhaben. Es handelt sich nämlich nicht um die Art von Großartigkeit, für die es in unserer Gesellschaft Applaus gibt. Frauenträume haben es immer noch schwer in dieser Welt. Aber wenn wir ihnen nicht auf die Welt verhelfen, wer denn? Nur wir Frauen können anfangen, unsere innere Stimme ernst zu nehmen. Zu vertrauen, dass sie unseren Weg kennt und uns leitet. Nur wir können die Hebammen sein für ein mutiges weibliches Dasein. Für eine neue Definition der weiblichen Kraft.

Wir Frauen müssen vertrauen, dass uns eine eigene Geschichte zusteht. Wir müssen uns das Recht auf einen eigenen Weg selbst erteilen. Niemand sonst hält uns mehr zurück. Der Zaun wurde längst abgebaut, der Käfig ist weg. Die Freiheit ruft. Sie ist voller ungeschriebener Geschichten.

Eine davon ist deine. Zeig uns, welche es ist!

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