Bildquelle: pxhere.com

Willkommen in der Midlife-Crisis, einer wilden Zeit, in der Beziehungen zerbrechen, Jobs gekündigt werden und alles auf den Kopf gestellt wird. Willkommen in der zweiten Pubertät, einer unbequemen Zeit voller Fragen ohne Antworten, voller Unsicherheiten und Umbrüche. Willkommen in der Mitte des Lebens, wo du dich – vermutlich gegen deinen Willen – befindest.

Haben wir nicht früher immer gedacht, dass in diesem Alter nichts Interessantes mehr passieren kann? Dass dann schon alles geregelt ist und man sich in der Phase “und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage” befindet? Wir dachten ja vor Kurzem erst, dass wir schon “angekommen sind”. Wir haben viel gemacht und viel geschafft, es müsste doch jetzt längst alles gut sein. Als junge Hüpfer dachten wir, in diesem Alter sei das Leben irgendwie endgültig geregelt. Und dann das. Wir fühlen uns weniger gefestigt denn je.

Ende der Rollen

Was uns erstaunt ist die Feststellung, dass die Rollen, die wir jahrelang gerne ausgefüllt haben, uns kein Identitätsgefühl mehr vermitteln. Die Schöne, die Süße, die Mutter, die Ehefrau, die zuverlässige Mitarbeiterin, die brave Tochter, irgendwie verwandelt sich all dies in etwas, in dem wir uns nicht mehr zu Hause fühlen. Viele Partnerschaften zerbrechen an diesem Punkt, weil wir das machen, was wir in Beziehungen immer wieder gerne tun – wir projizieren unsere Unzufriedenheit auf den Partner und meinen, woanders mehr Lebendigkeit zu finden. Bei den einen muss man sagen schade um die langjährige Beziehung, die an diesem Punkt fast aus Versehen zugrunde geht. Bei den anderen muss man sagen endlich werden jetzt die Narzissten und Blutsauger aus dem eigenen Leben geschmissen. Deswegen ist man aber noch nicht fertig mit Aufräumen.

Bildquelle: pixabay.com/KELLEPICS

Dies ist die Zeit einer erneuten Suche nach sich selbst. Wie in der Pubertät treffen wir wieder eine Menge Entscheidungen und sind zutiefst verunsichert. Wenn dein Partner nicht in die Narzissten-Kategorie gehört, ist die Partnerschaft nicht dein Problem, auch wenn dir das manchmal so vorkommt. Jetzt solltest du dich der Suche nach einem neuen Ich zuwenden. Das ist nicht lustig. Viele nehmen lieber eine Abkürzung und suchen sich einfach ein neues Du. Aber dort wirst du dich nicht finden. Egal, wo du hingehst, am Ende begegnest du immer nur dir selbst. Instant-Lösungen funktionieren im Leben immer nur kurzfristig, wer schummelt, den erwischt es härter.

Die Nicht-Antworten haben wir schon

Worum geht es also in dieser Lebensphase? Wir haben schon so viel und sind doch so unzufrieden? Jim Carrey sagte: “Ich wünschte, alle Menschen könnten reich und berühmt werden und alles erreichen, wovon sie träumen, damit sie sehen, dass das nicht die Antwort ist.”

Die Antwort auf was? Wie lautet die Frage, auf die das nicht die Antwort ist? Wer bin ich? Wofür bin ich hier? Worum geht es wirklich im Leben? Hat mein Dasein einen Sinn?

In den ersten 40 Jahren glauben wir, dass wir dieses und jenes erreichen müssen und es macht uns auch zufrieden. Wir fühlen uns nach jedem Meilenstein “angekommen”, richtig, glücklich. In der Mitte des Lebens finden wir heraus, dass all das – das Geld, die Karriere, das Haus, die Ehe, die Kinder, dass all das nicht die Antworten sind auf die Fragen, die uns am meisten beschäftigen. Manche schieben diese Gedanken weg. Zu groß ist die Hilflosigkeit und innere Orientierungslosigkeit. Sie suchen sich halt einen anderen Partner und glauben, diese neuen Schmetterlinge im Bauch sind die Antwort. Andere erfüllen weiterhin fleißig ihre Rolle nach dem Motto “Jetzt erst recht!” und bringen die Fragen, die sich so unangenehm in ihrem Inneren breitmachen mit Antidepressiva zum Schweigen. Aber wir können diesen Fragen nicht entkommen. Wir können uns betäuben – mit Verliebtheit, Sex, Reisen, Alkohol oder Tabletten, aber all das bringt nicht die Antwort, die wir so dringend brauchen. Egal, wie viele Proseccos wir à la Sex and the City in uns schütten, der Kater am nächsten Tag lässt die Fragen nur noch dringender erscheinen.

Bildquelle: pixabay.com/Engin_Akyurt

Chaos in der Seele

Je mehr Stagnation es in unserem Leben gibt, umso größer ist das Chaos in der Seele. Der dringende Ruf, den die Midlifecrisis uns zuraunt, ist der Ruf nach Bewegung. Nach dem Verlassen des Eroberten. Nach einem neuen Aufbruch. Nach neuen Eroberungen, aber diesmal werden andere Kontinente angegangen. Diesmal wollen wir etwas in unserem Inneren einnehmen.  Wir sehnen uns danach, uns aus unseren Prägungen und Zwängen herauszuschälen und endlich zu begreifen, wer wir wirklich sind. Wir wollen die innere Freiheit spüren, von der wir ahnen, dass es sie gibt. Wir wollen uns verbunden fühlen mit etwas, was über uns selbst hinausgeht. Wir wollen etwas erschaffen, das einen tieferen Sinn hat und uns überlebt. Wir brauchen das Gefühl, das Wesen des Lebens zu begreifen. Wir wollen am Puls des Lebens sein.

Innere Inventur

Inventur ist angesagt. Inventur in unserem Leben. All die Dinge, Beziehungen, Engagements, die wir angehäuft haben, wollen in die Hand genommen und von allen Seiten betrachtet werden. Und jedes Mal sollten wir uns die Frage stellen: Gefällt es mir? Brauche ich das? Will ich es haben? Es ist Zeit, mit Grenzen umgehen zu lernen und aus dem Verfügbaren das Beste zu machen. Und es ist höchste Zeit, alle Projektionen zurückzunehmen und sich selbst zur Chefin des eigenen Glücks zu erklären. Wer jetzt nicht versteht, dass die Verantwortung in seiner eigenen Hand liegt, der hat wenig Chance auf eine gute zweite Halbzeit. Schluss mit falscher Bescheidenheit und überflüssigen Höflichkeiten. Wir müssen uns einsetzen für das, was uns wichtig ist. Selbst wenn es rundherum niemand versteht.

Die Frau, von der ich träumte

Erinnere dich, du warst mal ein Mädchen mit Träumen und Vorstellungen. Und nun wach auf, denn das bist du nicht mehr. Du bist jetzt die Frau, von der du damals geträumt hast. Oder etwa nicht? Dann wird es aber höchste Zeit, die Frau zu werden, von der du als Mädchen dachtest “so will ich sein, wenn ich groß bin”. Ich habe hier ein paar Fragen, die dir bei deiner inneren Inventur helfen können. Lass dir ausreichend Zeit, dein Laden ist groß, so eine Inventur kann sich schon mal über längere Zeit hindurch ziehen.

8 Fragen

1. Warum tue ich, was ich tue?

2. Mit welchen Menschen verbringe ich die meiste Zeit? Gefällt mir das?

3. Welchen großen Wunsch habe ich mir nie erfüllt?

4. Was werde ich am meisten bereuen, nicht getan zu haben?

5. Wenn ich heute 20 wäre, was würde ich tun?

6. Wenn alles bleibt wie es ist, wie werde ich mich am Ende meines Lebens fühlen?

7. Was tue ich nur für mich, nur aus dem Grund, dass es mich glücklich macht?

8. Wenn ich heute etwas mühelos für den Rest meines Lebens ändern könnte, was wäre das?

Antworte furchtlos und ausladend. Es ist zweite Halbzeit, wir haben keine Zeit mehr für kleinkariertes Denken. Keine Zeit mehr, um die Dinge, die wir wollen, vorsichtig zu umschiffen oder sich mit dem Zweitbesten zufrieden zu geben. Greif nach dem, was du wirklich willst. Du willst diese Welt nicht mit dem Gefühl verlassen, es nicht mal versucht zu haben.

Bildquelle: pixabay.com/silviarita

Tiefer graben, Hingabe üben

Ich glaube, dass wir in dieser Zeit tiefer graben müssen und auch wollen. Wir haben uns nun 40 Jahre lang da draußen alles Mögliche erobert und nun wird es Zeit, uns nach innen zu wenden. Da draußen loszulassen und unserem Inneren erlauben, die Führung zu übernehmen. Das braucht viel Mut. Die Impulse unserer Intuition sind unberechenbar und fordern uns. Aber nur so können wir endlich aufhören, unser Leben zu planen und können anfangen, es zu entdecken.

Wir sind für Hingabe und Annahme geschaffen. Nur haben wir bis jetzt unsere Aufmerksamkeit meist im Außen gehabt. Haben vieles angenommen, was uns nicht gut getan hat, uns Rollen hingegeben, die uns bis aufs Äußerste gefordert haben. Es ist Zeit, draußen loszulassen und diese Hingabe nach Innen hin zu üben. Zu schauen, was wir in unserem Inneren finden, wenn wir aufhören, uns mit der Außenwelt abzulenken. Wer wir sein wollen, wenn wir die Antwort ganz aus uns heraus finden und keines der vorgegebenen Frauenbilder da draußen wählen. Wenn wir anfangen, unserer Umgebung unsere innere Wahrheit zuzumuten.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Die Chancen stehen gut, dass du so frei bist, wie noch nie in deinem Leben. Gleich groß sind die Chancen, dass du verlernt hast, mit Freiheit umzugehen. Es stellt sich die Frage – wenn nicht jetzt, wann dann? Du hast Erfahrung, Gelassenheit, Selbstkenntnis und Kraft. Was brauchst du noch, um dich innerlich frei zu machen? Um dir zu erlauben, das zu spüren, was versucht, sich durch dich auszudrücken? Diese authentische Kraft, die sich abseits aller eingespielten Rollen den Weg nach außen bahnt? Lass dich von ihr überraschen. Sie wird nicht im Kopf kreiert und geplant, sie entsteht aus eigener Kraft und will zum Ausdruck kommen. Das ist das schöne an dieser Zeit. Sie ist wie eine wilde Klassenfahrt. Mal sehen, was passiert. Mal sehen, was ich gleich tun werde. Bleib offen und sei gespannt auf den Menschen, der sich in den nächsten Jahren aus dir entwickeln wird.