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Diana – für die einen eine nervige Mediengestalt, für die anderen die größte Projektionsfläche der Welt. Keiner und keine kommt an ihr vorbei. Eine Frau, auf die eine unglaubliche Masse an Menschen emotional reagierte, bis heute eine Madonna. Das sagt mehr über das Frauenbild unserer Gesellschaft aus als unzählige wissenschaftliche Studien.

Wie so viele weiß auch ich noch genau, wo ich war, als sie starb. Ich war eine junge Frau und hatte gerade die Liebe meines Lebens getroffen. Wir erkundeten gemeinsam romantische Ecken der Westküste von Rhodos, als in einer kleinen Taverne im Fernsehen die Nachricht lief. Ich mochte Diana nie und war doch gerade dabei, so wie sie meine Identität für die Liebe zu opfern. Wie so unzählige andere Frauen war ich bereit, für ein reibungslos funktionierendes Wir vieles davon aufzugeben, was mich ausmachte. Liebe – die vermeintlich lohnenswerteste Sache der Welt. Erst Jahre später würde ich in diesem Wir nach den Trümmern meiner Identität suchen und versuchen, einen sinnvollen Hinweis darauf zu finden, wer ich eigentlich bin. Verstehe mich bitte nicht falsch. Die Liebe dieses Mannes ist mit das Schönste, was mir im Leben passiert ist. Nur habe ich heute als ganze und vollständige Persönlichkeit Platz in unserem Wir.

Das ist etwas, was uns Frauen oft erst in späteren Jahren gelingt. Wir fangen an zu begreifen, wie sehr wir uns selbst für unsere Beziehungen aufgeben, wie viele Beziehungen, auch berufliche, auf unserer Nachgiebigkeit aufgebaut sind. Wir entdecken unsere Selbstwirksamkeit und reifen zur eigenständigen Persönlichkeit heran, die sich selbst genug ist. Selten verläuft dieser Prozess ohne dass ein mittelschweres Erdbeben sich im Leben einer Frau ereignet. Wie die griechische Göttin Persephone, die als Mädchen Kore in die Unterwelt entführt wird und als machtvolle Göttin Persephone zurückkehrt, ist man danach nicht mehr die selbe Frau.

Tragisch, wenn doch. So wie Diana.

So sehr sie auf den ersten Blick aussehen mag wie eine Rebellin, die sich auflehnte, um ihren eigenen Weg zu gehen, so sehr stellt sich das beim näheren Hinsehen als optische Täuschung heraus. Ihr Leben lang bediente diese Frau die unbrauchbarsten Bilder, mit denen die Gesellschaft uns Frauen manipuliert: sie war Prinzessin, Barbie, Mutter Theresa, Star, die fürsorgliche Mutter. Sie war ein wandelndes Klischee, und bis zum Schluss eines eigenen Weges nicht fähig. Magisch zog es sie immer dorthin, wo Bewunderung und Zuneigung zu haben war. Die uralte Frauenfalle eben. So ist sie letztlich nicht mehr als eine glänzende Trophäe des Patriarchats und alles andere als ein lohnenswertes Vorbild.

Eine Doku zeigt Bilder ihres Rhetoriktrainings. Sie sollten wohl privat bleiben, aber was war bei dieser Frau schon privat? Die Kamera läuft, es wird aber noch nicht gearbeitet. Sie weist die Kinder zurecht, sich ruhig zu verhalten, setzt dann gekonnt ihren Dianablick auf – Kopf senken und naiv schauen. Allein dieser Blick ist ein einziges Sinnbild für alles, wogegen es sich aufzulehnen lohnt. Der Trainer fragt sie, woher sie die Motivation für ihre aufreibende Charitytätigkeit nimmt. Diana lacht: „Ich habe ja sonst nichts zu tun“, und kriegt sich eine Weile nicht ein. Wie gesagt, diese Bilder waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Und klar, es war ein Scherz. Und auf eine tragische Weise auch die Wahrheit.

Diana hatte keinen eigenen Plan für ihr Leben. Genau betrachtet hatte sie auch kein eigenes Leben. Sie tauschte den Druck der königlichen Etikette gegen den Druck der Öffentlichkeit, lief mit kokett scheuem Blick an Paparazzis vorbei, die sie nachweislich oft genug selbst gerufen hatte. Sie blieb, was sie war – abhängig von Liebe und Bewunderung anderer, unfähig, auf sich selbst zu bauen, Eigentum der Öffentlichkeit und/oder der Männer, in derer Arme sie sich unaufhörlich warf. Eine Frau, die nicht in der Lage war, sich selbst zu respektieren und sich selbst Halt zu geben.

Ich möchte nicht unnötig streng sein mit Diana. Wir machen diesen Fehler schließlich immer und immer und immer wieder selbst. Wir wünschen uns unsere Authentizität, wollen lernen, nein zu sagen – und wünschen uns im gleichen Maße, dass die Umwelt das versteht. Wir wollen bei unserer Selbstfindung die Zuneigung anderer nicht verlieren, und verlieren in diesem Zwiespalt doch oft genug wieder die Orientierung. Wir gehen endlich mal kurz einen eigenen Weg und ertragen es nicht, wenn wir anderen dabei nicht gefallen. Wir sind voller Schuldgefühle, wenn wir die Erwartungen der Umwelt nicht erfüllen. Wir ertragen ihren Unmut nicht. Und fallen zurück. Je suis Diana. Wir sind alle ein bisschen Diana, die zerrissene Frau. Wir wollen wir selbst und authentisch sein, wollen dabei aber allen gefallen. Der Preis für unsere Authentizität erscheint uns zu hoch, solange wir nicht in der Lage sind, den Halt und den Zuspruch, den wir brauchen, in uns selbst zu finden. Solange wir nicht verstehen, dass wir in erster Linie uns selbst verpflichtet und uns selbst genug sind.

Lady Di war keine Rebellin. Lady Di war eine Zerrissene, Rastlose, eine Süchtige, immer auf der Suche nach dem nächsten Schuss Aufmerksamkeit, Zuneigung, Zuspruch. Sie kam von dieser Droge bis zum Schluss nicht weg. Bis zum Schluss blieb sie in dieser Abhängigkeit und hielt sie für ihre Identität. Die Königin der Herzen. Die Herzen aber waren in Wirklichkeit der Stoff, den sie sich täglich reinziehen musste, den sie wie so viele von  uns so dringend brauchte, dass sie ihn über alles stellte. Tödlich konsequent bediente sie weibliche Projektionsbilder, starb zu früh als Opfer und wurde so zur Legende. Opfer von Paparazzis, Opfer eines völlig betrunkenen Fahrers, aber in Wirklichkeit Opfer der eigenen Lebensführung, ihrer zur Lebensmaxime erhobenen Liebessucht. Diana starb am goldenen Schuss einer Droge, vor der keine Frau gefeit ist.

So möchte ich anlässlich des Todestages dieser tragischen Gestalt all der Frauen gedenken, die im guten Glauben, das Richtige zu tun, ihre Identität täglich opfern. All der Frauen, die glauben, mit ihrer Aufopferungsbereitschaft die Welt oder auch nur ihre Beziehung retten zu können. Die darauf verzichten, ihre Bedürfnisse zu leben, um das Gleichgewicht der Familie nicht zu gefährden. Die im Job Höchstleistungen erbringen und keine angemessene Bezahlung fordern, weil die Zufriedenheit der anderen Lohn genug ist. All der Frauen, die ihren Körper mit Essstörungen und Schönheits-OPs malträtieren, weil die Gesellschaft nur eine Art der Schönheit akzeptiert. All der Frauen, die glauben, eine gute Mami nimmt eigene Bedürfnisse nicht so wichtig. All der Frauen, die ihre Power nicht leben, weil das zuweilen unattraktiv aussieht. All der Frauen, die ihren Weg sofort verraten, wenn woanders mehr Zuneigung zu haben ist. All der Frauen, die diese besch…enen Frauenbilder noch nicht als das entlarvt haben, was sie sind – leblose Bilder, besch…en noch dazu.

Und so komme ich nun zur wichtigsten Frage meiner weiblichen Seele: Habt ihr mich alle noch lieb, obwohl ich meine Meinung sage?

Scherz beiseite. Diana soll nicht umsonst gelebt und gestorben sein. Sie ist für mich ein Sinnbild eines grandios gescheiterten Frauenlebens, des Lebens einer Frau, die alle Möglichkeiten hatte und doch der gleichen Sehnsucht erlegen ist wie Frau Müller, Meier oder eben Schmid. Die dem Irrtum erlegen ist, dass die Zuneigung anderer wichtiger sei als ein eigener Weg. Den eigenen Weg zu gehen hat möglicherweise seinen Preis.  Aber wie Dianas Schicksals zeigt, ihn nicht zu gehen auch. Dass Beliebtheit eine höhere Währung sein könnte als Authentizität ist ein Trug. Eine kluge Frau, die unerschrocken ihren Weg geht, sagte letztens bei einem Telefongespräch zu mir: „Mir ist schon bewusst, dass mich mein Selbstbewusstsein etwas kostet.“ Alles hat eben seinen Preis. Eine echte Königin weiß das.