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Ich habe mein zweites Buch fertig geschrieben. Mein erstes Buch kennt ihr ja – „Chi statt Botox“ ist mittlerweile 4 Jahre alt und erfreulicherweise wird gerade die 5. Auflage gedruckt. Auch damals hatte ich dieses Problem – den Zeitpunkt zu erkennen, wann ich fertig bin. Auf Facebook schrieb ich: „Kann mir dieses Ding bitte jemand aus der Hand reißen und sagen, es reicht, es ist gut genug?!“ Woran erkennen wir, dass wir gut genug sind? Gut genug, um uns ein Projekt zuzutrauen, gut genug, um etwas einzufordern, oder einfach so – gut genug als Mensch? Und warum ist der weibliche Selbstwert nochmal eine spezielle Geschichte?

Der Selbstwert und die Killerstimme

Mein zweites Buch ist also fertig und ich bin dabei, es an Verlage zu verschicken, da es thematisch zu meinem derzeitigen Verlag nicht passt. Seitdem quält mich eine Stimme, mit der ich solch unangenehme innere Gespräche führe wie dieses:

„Das Buch ist Schrott, kein Verlag meldet sich.“

Ich: „Ich habe es doch vor 3 Tagen erst weggeschickt!“

„Du hättest es noch einmal Korrektur lesen sollen.“

Ich: „Ich habe es zweimal sorgfältigst korrigiert.“

„Das ist vielleicht nicht genug!“

Mit Schweißperlen auf der Stirn mache ich die Datei auf und erwarte, dort den größten Mist zu finden, den ich je geschrieben habe. Aber nein, es ist unterhaltsam und eigentlich klug geschrieben. Ich verstehe nicht, woher diese Stimme kommt. Wie viele Emails von begeisterten Buch- oder Blogleserinnen muss ich eigentlich bekommen, um das Gefühl zu haben, gut genug zu sein?

der weibliche Selbstwert

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Ich weiß, ihr kennt diese Stimme auch. Es ist die Stimme, die einen verstummen lässt, obwohl man etwas zu sagen hätte. Die Stimme, die dafür sorgt, dass man die Hand nicht hebt, obwohl man „Ich!“ schreien möchte. Die Stimme, die dafür sorgt, dass die meisten unserer Träume eben das bleiben – Träume. Die Stimme, die dauernd für Schuldgefühle sorgt, weil wir nicht sicher sind, ob das, was wir gesagt, getan, gegeben haben, gut genug ist.

Die Fragen hinter der Frage

Die Frage, die sich dabei stellt, ist – wer bestimmt eigentlich, was gut genug ist? Was brauchen wir denn konkret, um das Gefühl zu haben „ja, das war jetzt klasse!“ Nein, just kidding, ich meine, wir wollen doch zumindest das Gefühl haben, dass es genügt. Aber wie kommen wir dorthin?

Diese Frage finde ich sehr wichtig, schließlich steckt eine Menge entscheidender Fragen dahinter. Denn die Antwort auf die Frage „Wann bin ich gut genug?“ ist auch die Antwort auf viele andere Fragen wie: Wann darf ich mich zeigen? Wann darf ich loslegen? Wann bin ich an der Reihe? Wann darf ich Wertschätzung für mich empfinden? Wann darf ich Respekt einfordern? Wann darf ich mit mir zufrieden sein? Wann darf ich mich frei fühlen?

Dann wollen wir uns mal die Wege ansehen, die uns zu dem Gefühl bringen könnten, dass wir gut genug sind oder etwas gut genug erledigt haben.

1. Anerkennung von Außen

der weibliche Selbstwert und Erfolg

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Als jemand, der erfreulicherweise viel Anerkennung von Außen bekommt, kann ich euch sagen: es ist angenehm, aber nicht die Antwort. Denn solange diese bohrende Stimme IN dir nicht verstummt, ist es eigentlich egal, was dort draußen passiert. Sie horcht nur auf, wenn jemand Kritik äußert. Dann sagt sie sofort: „Ich habe dir ja gesagt, du bist nicht gut genug!“. Bei Anerkennung versucht sie dich zu überzeugen, dass dein Erfolg nur Zufall war. Der doch jedem von Zeit zu Zeit passiert. Nach dem Motto „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“ Bumm.

2. Unsere Ziele erreichen

Das glauben wir doch insgeheim sowieso, oder nicht? Ich werde gut genug sein, wenn ich befördert wurde. Wenn ich 5 Kilo abgenommen habe. Wenn ich meine Falten los bin. Wenn ein Verlag mein Buch nimmt. Wenn wenn wenn… Doch das ist nur die Karotte vor der Nase. Kaum habe ich das eine erreicht, lege ich meine Messlatte ein bisschen höher. Sodass dieses Gefühl immer außerhalb meiner Reichweite bleibt. Denn die Stimme in uns ist nie zufrieden. Sie ist ein hungriges Ungeheuer, das niemals satt wird, egal, welch beeindruckende Ziele wir schon erreicht haben. Sorry, auch das ist es nicht.

3. Mehr haben als andere

Nachbarn, Kollegen, Freunde – sie reizen uns, wenn sie befördert werden, Glück haben, ein Meisterwerk in irgendeinem Bereich vollbringen, etwas erreichen und Schluss mit lustig ist spätestens, wenn ihnen etwas in den Schoss fällt, zum Beispiel eine Erbschaft. Wie ist das Leben doch ungerecht! Neid ist ein brauchbarer Motor unserer Motivation. Aber falls du dir erhoffst, dass du endlich Frieden mit dir schließen kannst, wenn du mehr erreichst als die anderen, dann muss ich dich enttäuschen. Denn irgendwann kommt wieder jemand vorbei, der etwas hat, was du nicht hast. Außer du bist Madonna.

Raus aus der Sackgasse

All diese Wege sind Sackgassen. Du bist dort zwar nie allein, denn die meisten Menschen verbringen ihr ganzes Leben dort. Aber ans Ziel kommst du so nicht. Die Lösung liegt dort, wo auch das Problem liegt. Befreien kann dich nur, wer dich festhält – und das bist du selbst. Ich habe unlängst eine Aufstellung für eine Klientin gemacht, bei der es um dieses Thema ging. Ich mache keine klassischen Aufstellungen, ich stelle gerne das aktuelle Umfeld der Klientin auf, um ihr zu einer tieferen Reflexion zu verhelfen. Nach einer Stunde sah sie deutlich entspannter aus und meinte: „Was ich jetzt verstehe ist, dass sich das alles nur in meinem Kopf abspielt.“

Artikel über den weiblichen Selbstwert

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Und das ist des Rätsels Lösung. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, produzieren wir selbst. Also kann die Heilung nur in uns selbst liegen. Natürlich kann dich eine ungesunde Umgebung diesbezüglich auch ganz schön unter Druck setzen. Für uns Frauen ist diese Gesellschaft an sich eine ungesunde Umgebung. Was von einer Frau erwartet wird, können drei Pferde zusammen nicht leisten. Aber ob ich die Erwartungen der Umwelt zu meinen eigenen mache, darüber habe ich die Entscheidungsfreiheit. Also lautet mein Rat Nummer 1:

Pass auf, was du in deinen Kopf lässt

Schon die Fanta 4 haben gesungen:

Um sein Gefühl zu verlagern auf Knopfdruck

muss man sich fragen, was man sich in den Kopf tut.

In dem Song ging es zwar um Drogen, aber mit den energetischen und psychologischen Drogen ist es genauso. Wir wollen dazugehören, wir wollen „richtig“ sein und viel zu oft versäumen wir es, uns unser eigenes Wertesystem aufzustellen. Wir fragen uns zu oft, wie die anderen uns finden und zu selten, wie wir die anderen finden. Oft versuchen wir so Menschen für uns zu gewinnen, die wir eigentlich gar nicht mögen. Statt zu sagen „Du magst mich nicht? Mein Lieber, wenn du wüsstest, wie wenig ich dich ausstehen kann!“ hauen wir uns ins Zeug. Und handeln nach den Vorstellungen des anderen. Verlassen uns selbst und unser eigenes Wertesystem.

Vorsicht, Frauenfalle!

Der weibliche Selbstwert und die Gesellschaft

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Für Frauen ist es enorm wichtig, dass sie die Bilder von dem, wie eine Frau zu sein, zu handeln und auszusehen hat, unbedingt hinterfragen. Diese Bilder sind nicht echt. Keine einzige Frau kann diesen Anforderungen entsprechen. Zumindest nicht, ohne daran zu zerbrechen. Die Gesellschaft hat wahnwitzige Vorstellungen darüber, was eine Frau in ihrem Leben alles unterbringen können soll. Solange wir versuchen, eine eierlegende Wollmilchsau zu sein, um uns so die Bestätigung als Frau zu holen, verschlimmert sich die Situation. Jede Frau, die vorgibt, all diese Vorgaben mit links auf die Reihe zu bringen, untergräbt das Selbstwertgefühl anderer Frauen.

Es wird Zeit, der Gesellschaft den Mittelfinger zu zeigen. Aufzuhören, sich um Aufgaben anzunehmen, für die es weder Respekt noch Bezahlung gibt. Aufzuhören, uns für Harmonie und das Glück der anderen verantwortlich zu fühlen. Und uns gestatten zu fühlen, was wir wirklich fühlen, auch wenn es so gar nicht zu dem Bild der geduldigen liebevoll lächelnden Frau passt. Die Wahrheit ist der Gesellschaft zumutbar. Wenn man ein Problem ernst nimmt, findet man auch eine Lösung. Wir müssen dafür sorgen, dass man unsere Probleme ernst nimmt!

Erkenne, wie streng du zu dir selber bist

An wen sonst hast du so viele Erwartungen und eine so hoch gelegte Messlatte? Eine Klientin hat das so zusammengefasst: „Wenn ich eine Freundin so behandeln würde wie ich mich behandle, würde sie nicht mehr mit mir befreundet sein wollen.“

Wie sprichst du mit dir selbst? Hast du auch eine fürsorgliche Stimme, die sagt: „Komm, jetzt lass mal gut sein. Du solltest etwas essen und dich ausruhen.“ Oder ist da nur eine, die sagt: „Na ja. Du hättest noch mehr geben können. Dann iss halt schnell was, aber beeil dich, es gibt noch viel zu tun!“ Pass auf, wie du mit dir sprichst, du hörst dir nämlich die ganze Zeit zu.

Wegen dieser Strenge, die speziell Frauen sich selbst gegenüber an den Tag legen, begeben wir uns oft in ungesunde Abhängigkeiten. Hängen an einem Partner, der uns nicht gut tut, weil er uns unsere innere Überzeugung spiegelt, dass wir sowieso nicht gut genug sind. Weil wir selbst kein nettes Wort für uns haben, tun wir viel, um es von jemandem da draußen zu hören. Machen uns klein. Bedienen die Bedürfnisse der anderen während wir selbst innerlich verhungern. Setzen unsere Würde aufs Spiel. Dagegen gibt es nur ein Heilmittel: liebevolle Selbstfürsorge!

Grenzen respektieren

Viele Frauen handeln, als ob ihre Energie nie zu Ende gehen würde. Ich muss dich enttäuschen, deine Kraft ist endlich. Die Chinesen sagen, wir werden mit einem Reservoir an Kraft geboren, sie nennen es Jing. Im Gegensatz zum Chi, einer Kraft, die man wieder auftanken kann, ist das Jing begrenzt. Wenn du damit nicht weise umgehst, ist es irgendwann aus. Frag jemanden, der einen echten Burn Out erlebt hat. Zack, Energie aus.

Diese Grenzen nicht zu respektieren bedeutet, lebensfeindlich zu handeln. Du glaubst, es geht ja „nur“ um dich, es ist deine Energie, also geht es andere nichts an? Erstens bleibt es deswegen immer noch lebensfeindlich. Du respektierst die Natur nicht, du respektierst das Geschenk des Lebens nicht, das dir zuteil wurde. Und zweitens sind wir alle miteinander verbunden und für deinen Burn Out wird jemand bezahlen müssen, und wenn es nur die Krankenkasse ist, die wir alle gemeinsam unterhalten. Glaub mir, etwas 80%ig gut zu machen ist mehr als genug.

Humor

Humor und der weibliche Selbstwert

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Als wir unser Haus gebaut haben, hatte ich, die Bastlerin, Lust, auch ein paar Fliesen zu verlegen. Man klärte mich auf, wie schwer das sei, sie gerade hinzubekommen. Ich fand das nicht tragisch, ich mag auch Hundertwasser-Häuser und dort ist gar nichts gerade. Das wiederum fand niemand witzig. Ich nahm es mir zumindest heraus, ein paar gebrochene Fliesen dekorativ an die Wand zu kleben. Und dachte dabei wehmütig an das alte Haus meiner Großeltern, wo die Fliesen genauso lässig verlegt waren wie die schiefen Mauern.

Was sind wir doch für eine humorlose Gesellschaft geworden. Alle fürchten sich vor einem Fehler. Niemand will mehr etwas riskieren. Dabei weiß man doch, dass alles, was nicht Gott erschuf, nur Pfusch ist. Wir sind alle nur Pfuscher, leben jeden Moment zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal, also könnten wir langsam aufhören, alles so todernst zu nehmen. Denn dieser tödliche Ernst kostet uns zu viel. Er kostet uns zu viele begabte Frauen, die sich nicht trauen, sich zu zeigen. Er kostet uns zu viele tolle Werke und Projekte, die aus Angst vor Unvollkommenheit nie abgeschlossen werden. Er kostet uns viele tolle Ideen, die Menschen nicht unausgegoren in die Welt entlassen wollen, also behalten sie sie für sich. Er kostet uns zu viel!

Wann haben wir vergessen, dass alles Lebendige einem lebendigen Zyklus aus Entstehen und Vergehen unterliegt? Jede Perfektion, die du unter Einsatz aller Kräfte (und Verlust deiner Lebenszeit) hervorgebracht hast, wird irgendwann vergehen. Vergehen und vergessen werden. Wenn Menschen aus ihrem Leben erzählen, welche Geschichten machen sie sympathisch, wo hört man gerne und mit dem Herzen zu? Wenn sie von ihren perfekten Erfolgen, Häusern, Beziehungen sprechen oder wenn sie über lustige Hoppalas erzählen und uns ihre menschlichen Unsicherheiten und Missgeschicke offenbaren? Zu zeigen, dass man nicht perfekt ist, öffnet Herzen.

der weibliche Selbstwert statt Perfektion

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Vielleicht sollten wir uns mal überlegen, wie unser Leben am Ende aussehen soll. Wie ein perfekt verlegter Boden, wo keine Fliese aus der Reihe tanzt? Oder wie ein interessant unebener Boden, wo jede Fliese eine eigene Geschichte erzählt. Du bist dein eigener Fliesenleger, das Leben legt dir nur die Fliesen hin, was du mit ihnen machst, entscheidest du. Du kannst dein Leben ans Streben nach Perfektion verschwenden oder du kannst Hundertwasser werden und Spaß haben. Perfektion ist gähnend unkreativ.

Ich habe letztens versucht, meinem 13-jährigen Sohn beizubringen, wie man T-Shirts faltet. Seine Reaktion: „Das mach ich sicher nicht! Das ist so unnötig kompliziert, dass ich darüber nachdenke, ob du autistisch sein könntest!“ Er faltet sie weiterhin in der Mitte und dann nochmal in der Mitte und Punkt. Meine Art ist schöner, seine schneller. Keine davon ist richtig. Jeder von uns hat seine eigene. So wie jeder von uns seine eigene Art von „gut“ für diese Welt produziert. Solange wir uns unsere eigene Art erlauben, bleibt die Welt bunt und lebendig. Sobald wir uns gemeinsam an die Perfektion annähern, wird sich eine große Leere breitmachen.

Von der Kunst, eine entspannte Frau zu sein

Wie ging es eigentlich mit Aschenputtel weiter? Ein Märchen für Erwachsene